Gekreuzigter Junge

Gekreuzigter Junge (russ. Распятый мальчикwar) war eine Propagandasendung im russischen Fernsehen, die 2014 im Rahmen des Donbas-Kriegs ausgestrahlt wurde und vermeintliche ukrainische Menschenrechtsverletzungen zeigen sollte, und zur Rechtfertigung der russischen Intervention in der Ukraine diente.

Hintergrund

Die Fernsehsendung wurde am 12. und 13. Juli 2014 von dem russischen Fernsehsender Perwy kanal in den Abendnachrichten ausgestrahlt.[1] Die Sendung erschien im Rahmen der russischen Berichterstattung über den Ukrainekrieg und trug offiziell den Titel „Eine geflüchtete Frau aus Slowjansk erinnert sich, wie vor ihr der kleine Sohn und die Frau eines Milizsoldaten hingerichtet wurden“. Der Fernsehbericht enthielt falsche Aussagen einer angeblichen Augenzeugin, die behauptete, dass ukrainische Soldaten die Einwohner von Slowjansk gefoltert und einen dreijährigen Jungen gekreuzigt hätten.[2]

Die Sendung stieß auf große öffentliche Resonanz. Eine Reihe von russischen Politikern und Journalisten warfen dem Sender Propaganda und Verletzung der Berufsethik vor.[3] Spätere Recherchen zeigten, dass in Slowjansk niemand die Behauptungen der Frau bestätigen konnte und niemand von Kreuzigungen in der Stadt gehört hatte. Der vom Perwy kanal ausgestrahlte Bericht enthielt zudem mehrere Fehler, so existiert z. B. der darin beschriebene Hauptplatz nicht. Sogar einige kremltreue Medien kritisierten den Sender.[4] Die Geschichte über den „gekreuzigten Jungen“ wurde später als Täuschung und die angebliche Augenzeugin als eine russische Schauspielerin entlarvt.[4][5][6][7] Die erfundene Gräueltat wird häufig als ein Beispiel für den russischen Informationskrieg gegen die Ukraine und als Zeichen sinkender Qualitätsstandards und Desinformation in staatlichen Massenmedien in Russland genannt.[8][9] Die Verbreitung der Nachrichten über den „gekreuzigten Jungen“ wurde später für die statistische Analyse der Erweiterung der gefälschten Informationen in modernen sozialen Netzwerken und Suchmaschinen verwendet.[8][10] In der russischen Massenkultur wurde die Episode zum Synonym für Fake News.[11][12][13]

Die Täuschung über den „gekreuzigten Jungen“ wurde medial in Episode 5 der siebten Staffel der Fernsehserie Homeland aufgegriffen.[14]

Einzelnachweise

  1. ТВ, леденящее душу: Всё показанное по телевизору правда, а правда всё показанное по телевизору (dt. „Fernsehen, das die Seele einfriert: Alles im Fernsehen Gezeigte ist die Wahrheit, die Wahrheit ist alles in Fernsehen Gezeigte“). In: Nowaja Gaseta, 17. Juli 2014.
  2. «Мальчика» не было, но он живет: Кто придумал самый кровавый фейк войны на Донбассе (dt. „Den „Jungen“ gab es nicht, aber er ist am Leben: Wer sich den blutigsten Fake des Donbass-Kriegs ausgedacht hat“). In: Nowaja Gaseta, 15. Juli 2015.
  3. State-Run News Station Accused of Making Up Child Crucifixion. In: Moscow Times. 14. Juli 2014.
  4. a b Stephen Ennis: How Russian TV uses psychology over Ukraine. Auf BBC. 4. Februar 2015.
  5. Andrew Higgins: Fake News, Fake Ukrainians: How a Group of Russians Tilted a Dutch Vote. In: The New York Times. 16. Februar 2017.
  6. Maria Danilova: Truth and the Russian media. In: Columbia Journalism Review. 22. Juli 2014.
  7. Arkady Ostrovsky: Putin's Ukraine Unreality Show. In: Wall Street Journal. 28. Juli 2014.
  8. a b Irina Khaldarova und Mervi Pantti: Fake News: The narrative battle over the Ukrainian conflict. In: Journalism Practice. 10, Nr. 7, 2016, S. 891–901, doi:10.1080/17512786.2016.1163237.
  9. The post-truth world: Yes, I’d lie to you. In: The Economist. 10. September 2016, abgerufen am 3. Oktober 2018. 
  10. R. Hryshchuk, K. Molodetska: Recent Advances in Systems, Control and Information Technology. Hrsg.: R. Szewczyk, M. Kaliczyńska. Band 543. Springer, 2016, ISBN 978-3-319-48923-0, Synergetic Control of Social Networking Services Actors’ Interactions, S. 34–42 (englisch). 
  11. Oksana S. Issers: From the serious – to the ridiculous: the game potential of the Russian word of the year. In: Political Linguistics. Nr. 4, 2015, ISSN 1999-2629, S. 25–31 (englisch, cyberleninka.ru [PDF]). 
  12. Kerstin Holm: Russische Berichterstattung: Europa, hungere! In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 13. Februar 2017, abgerufen am 3. Oktober 2018. 
  13. Andrew E. Kramer: To Battle Fake News, Ukrainian Show Features Nothing but Lies. In: The New York Times. 26. Februar 2017, abgerufen am 3. Oktober 2018. 
  14. Homeland recap: season 7, episode 5 – Active Measures. In: The Guardian. 18. März 2018.