Poisson-Klammer

Die Poisson-Klammer, benannt nach Siméon Denis Poisson, ist ein bilinearer Differentialoperator in der kanonischen (hamiltonschen) Mechanik. Sie ist ein Beispiel für eine Lie-Klammer, also für eine Multiplikation in einer Lie-Algebra.

Definition

Die Poisson-Klammer ist definiert als

{ f , g } := k = 1 s ( f q k g p k f p k g q k ) {\displaystyle \left\{f,g\right\}:=\sum _{k=1}^{s}{\left({\frac {\partial f}{\partial q_{k}}}{\frac {\partial g}{\partial p_{k}}}-{\frac {\partial f}{\partial p_{k}}}{\frac {\partial g}{\partial q_{k}}}\right)}}

mit

  • f {\displaystyle f} und g {\displaystyle g} Funktionen der generalisierten Koordinaten q k {\displaystyle q_{k}} und der kanonisch konjugierten Impulse p k {\displaystyle p_{k}}
  • s {\displaystyle s} Anzahl der Freiheitsgrade.

Allgemein kann die Poisson-Klammer auch für Funktionen F {\displaystyle F} und G {\displaystyle G} definiert werden, die nicht von generalisierten Koordinaten und kanonischen Impulsen abhängen. Zur Verdeutlichung, auf welche Variablen sich die Poisson-Klammer beziehen soll, werden diese als Indizes an die Klammer geschrieben:

{ F , G } a b := k = 1 s ( F a k G b k F b k G a k ) {\displaystyle \{F,G\}_{ab}:=\sum _{k=1}^{s}\left({\frac {\partial F}{\partial a_{k}}}{\frac {\partial G}{\partial b_{k}}}-{\frac {\partial F}{\partial b_{k}}}{\frac {\partial G}{\partial a_{k}}}\right)} .

Eigenschaften

  • Bilinearität
{ c 1 f 1 + c 2 f 2 , g } = c 1 { f 1 , g } + c 2 { f 2 , g } {\displaystyle \,\{c_{1}f_{1}+c_{2}f_{2},g\}=c_{1}\{f_{1},g\}+c_{2}\{f_{2},g\}}
  • Antisymmetrie
{ f , g } = { g , f } {\displaystyle \{f,g\}=-\{g,f\}} , insbesondere { f , f } = 0 {\displaystyle \{f,f\}=0}
  • Produktregel
{ f , g h } = { f , g } h + g { f , h } {\displaystyle \,\{f,gh\}=\{f,g\}h+g\{f,h\}}
{ f , { g , h } } + { h , { f , g } } + { g , { h , f } } = 0 {\displaystyle \,\{f,\{g,h\}\}+\{h,\{f,g\}\}+\{g,\{h,f\}\}=0}
  • Invarianz
Physikalisch liegt es nahe, anzunehmen, dass die Zeitentwicklung einer Eigenschaft eines Systems nicht von den verwendeten Koordinaten abhängen sollte; damit sollten auch die Poisson-Klammern unabhängig von den verwendeten kanonischen Koordinaten sein. Seien ( q , p ) {\displaystyle (\mathbf {q} ,\mathbf {p} )} und ( Q , P ) {\displaystyle (\mathbf {Q} ,\mathbf {P} )} zwei verschiedene Sätze von Koordinaten, die durch kanonische Transformationen transformiert werden, so gilt:
{ f , g } q p = { f , g } Q P = { f , g } {\displaystyle \{f,g\}_{\mathbf {qp} }=\{f,g\}_{\mathbf {QP} }=\{f,g\}} .
Der Beweis ist länglich, sodass wir ihn hier auslassen.

Fundamentale Poisson-Klammern

Für die kanonische Mechanik wichtig sind die fundamentalen Poisson-Klammern

{ q k , q l } = 0 {\displaystyle \left\{q_{k},q_{l}\right\}=0}
{ p k , p l } = 0 {\displaystyle \left\{p_{k},p_{l}\right\}=0}
{ q k , p l } = δ k l {\displaystyle \left\{q_{k},p_{l}\right\}=\delta _{kl}} (Kronecker-Delta)

Sie folgen aus den trivialen Beziehungen

q k q l = δ k l p k q l = 0 q k p l = 0 p k p l = δ k l {\displaystyle {\begin{alignedat}{2}&{\frac {\partial q_{k}}{\partial q_{l}}}=\delta _{kl}\quad &&{\frac {\partial p_{k}}{\partial q_{l}}}=0\\&{\frac {\partial q_{k}}{\partial p_{l}}}=0\quad &&{\frac {\partial p_{k}}{\partial p_{l}}}=\delta _{kl}\end{alignedat}}}

Anwendung

  • Mithilfe der Poisson-Klammer kann die Zeitevolution einer beliebigen Observablen f ( q k , p k , t ) {\displaystyle f(q_{k},p_{k},t)} eines Hamiltonschen Systems H ( q k , p k ) {\displaystyle H(q_{k},p_{k})} ausgedrückt werden (Hamiltonsche Bewegungsgleichungen):
d f d t = { f , H } + f t {\displaystyle {\frac {\mathrm {d} f}{\mathrm {d} t}}=\{f,H\}+{\frac {\partial f}{\partial t}}} .
ρ ˙ = { H , ρ } . {\displaystyle {\dot {\rho }}=\{H,\rho \}.}
  • In der Quantenmechanik wird im Rahmen der kanonischen Quantisierung die Poisson-Klammer ersetzt durch ( i ) {\displaystyle \textstyle \left(-{\frac {\rm {i}}{\hbar }}\right)} mal den Kommutator:[1]
{ H , f } i [ H ^ , f ^ ] {\displaystyle \{H,f\}\rightarrow -{\frac {i}{\hbar }}[{\hat {H}},{\hat {f}}]}
Außerdem werden Observablen durch Operatoren dargestellt. Die oben angeführte Gleichung der Zeitevolution einer Observablen führt so auf die Zeitevolution von Operatoren eines quantenmechanischen Systems mit Hamiltonoperator H ^ {\displaystyle {\hat {H}}} im Heisenberg-Bild. Diese Bewegungsgleichung heißt Heisenbergsche Bewegungsgleichung. Die Liouville-Gleichung findet ihre Entsprechung dabei in der Von-Neumann’schen Bewegungsgleichung.
  • Sowohl die Phasenraumfunktionen der kanonischen Mechanik als auch die Operatoren der Quantenmechanik bilden mit ihren Klammern jeweils eine Lie-Algebra.
  • Allgemein definiert man auf einer symplektischen Mannigfaltigkeit mit symplektischer Form, die in lokalen Koordinaten gegeben ist durch ω = i j ω i j d x i d x j {\displaystyle \textstyle \omega =\sum _{ij}\omega _{ij}\,\mathrm {d} x^{i}\wedge \mathrm {d} x^{j}} , die Poisson-Klammer der Funktionen f {\displaystyle f} und g {\displaystyle g} durch:
{ f , g } = i j ω i j i f j g . {\displaystyle \{f,g\}=\sum _{ij}\omega ^{ij}\,\partial _{i}f\,\partial _{j}g\,.}
  • Koordinatenunabhängig lässt sich die Poisson-Klammer wie folgt darstellen: es sei J : T M T M {\displaystyle J:T^{*}M\rightarrow TM} der durch J 1 ( v ) ( w ) = ω ( v , w ) {\displaystyle J^{-1}(v)(w)=\omega (v,w)} beschriebene Isomorphismus. Weiter sei für eine Funktion f {\displaystyle f} das Vektorfeld X f {\displaystyle X_{f}} definiert als J ( d f ) {\displaystyle J(\mathrm {d} f)} . Damit gilt dann
{ f , g } = ω ( X f , X g ) . {\displaystyle \{f,g\}=\omega (X_{f},X_{g}).}

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Hong-Tao Zhang: A Simple Method of Calculating Commutators in Hamilton System with Mathematica Software, arxiv:quant-ph/0204081